Darüber hinaus haben Schmerzen aber auch zahlreiche negative Auswirkungen, die im Vergleich zu den positiven Effekten überwiegen. Während leichte Schmerzen „nur“ ein leichtes Unbehagen auslösen und das Allgemeinbefinden beeinträchtigen, können starke und andauernde Schmerzen zu deutlichen Verhaltensänderungen führen. Beim Menschen z.B. können starke chronische Schmerzen sogar Persönlichkeitsveränderungen auslösen. Bei unseren Hunden zeigen sich typische Verhaltensänderungen oft in Form von häufiger Unruhe, auffallender Bewegungsunlust und Appetitmangel - während sich manche Hunde zurückziehen, reagieren andere plötzlich aggressiv. Solche schmerzbedingten Aggressionen kann man als „Notwehrreaktion“ des Hundes ansehen. Er möchte sich vor noch mehr Schmerz schützen, kann es uns aber leider nicht anders sagen. Wie schön wäre es für uns zu hören: „Herrchen, ich habe es so im Rücken, dass ich mich kaum bewegen kann.“ oder „Frauchen, meine Kopfschmerzen bringen mich um“ oder Wenn Du mich beim Kämmen dort anfasst, könnte ich schreien“.
Wichtig ist hier zwischen schmerzbedingten, natürlichen und übersteigerten Aggressionen zu unterscheiden. Jagd- und Beutetrieb fallen unter das natürliche Aggressionsverhalten, das in freier Natur überlebenswichtig ist. Hierunter fällt auch das Territorialverhalten, das der Verteidigung des Lebensraums und vor allem der Jungen dient. Und auch für Rangordnungskämpfe im Rudel wird ein gewisses Aggressionspotential benötigt. Als pathologisch bezeichnet man hingegen ein übersteigertes Dominanz- oder Territorialverhalten oder Angstbeißen durch Unsicherheit oder Furcht.
Neben dem schädlichen Einfluss auf den gesamten Organismus stellt insbesondere die Entstehung eines Schmerzgedächtnisses ein Problem dar. Grund dafür ist die zunehmende Empfindlichkeit der Nervenzellen bei anhaltendem Schmerz. Als Folge dessen werden bereits geringe Reize als schmerzhaft wahrgenommen.
Sollte Ihr Tier daher ein in diese Richtung auffallendes Verhalten zeigen, stellen Sie es bitte umgehend bei Ihrem Tierarzt vor, damit eine exakte Diagnose gestellt werden kann. Viele hochgradig schmerzhafte Erkrankungen sind „von außen“ schwer zu erkennen. Aber dank dem heutigen Stand von Wissenschaft und Forschung stehen auch in der Tiermedizin weitreichende diagnostische Möglichkeiten wie z.B. Röntgen, Ultraschall, Computertomographie (CT), Kernspin- bzw. Magnetresonanztomographie (MRT) zur Verfügung. Hinzu kommen schmerz- und entzündungshemmende Medikamente, die eine effektive und sichere Schmerztherapie zulassen. So stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung, um die Ursache von Schmerzen zu erkennen und zu behandeln – mit dem Ziel, die zahlreichen negativen Effekte von Schmerzen zu verhindern.
Hier sind ein paar positive Beispiele aus der Praxis, die zeigen, wie Schmerzen ein Tier verändern können und wie man einen vermeintlich „bösen Hund“ durch die richtige Diagnose und Therapie wieder zu einem „ganz lieben“ machen kann:
Timber, ein 5-jähriger Alaskan Malamute, der plötzlich aggressiv reagierte, wenn man seinem Kopf zu nahe kam und deutlich an Leistung abnahm. Auffallend war ein eitriger Nasenausfluß aus beiden Nasenlöchern, den man durch Antibiotikagabe nicht in den Griff bekam. Die Spülprobe der Nase und eine röntgenologische Untersuchung ergaben einen massiven Pilzbefall der Nasenhöhlen. Durch die chronische Entzündung war bereits die Nasenscheidewand stellenweise in Auflösung begriffen, die Schmerzen dementsprechend stark. Nach erfolgreicher OP und gezielter Therapie konnte Timber noch so manches Schlittenhunderennen voll Freude und Power bewältigen.
Auch Labradorrüde Ben, 11 Jahre, biss auf einmal ohne Vorwarnung zu, nur weil eins der Kinder ihm freudig um den Hals gefallen war. Kurz darauf kamen auch neurologische Auffälligkeiten und eine Lahmheit der rechten Vordergliedmaße hinzu. Ein CT bestätigte den Verdacht: Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich. Nach entsprechender OP und Reha ist Ben wieder ganz der treue Familienhund.
Die 8-jährige Australian Sheparddame Lucy verweigerte hingegen plötzlich ihren geliebten Agility-Sport und biss beim Kämmen des hinteren Rückenbereichs aufschreiend in die Hundebürste. Ein Röntgenbild zeigte den Grund der massiven Schmerzen: Nierensteine und ein abgewanderter Nierenstein im Harnleiter, was zu schwersten Nierenkoliken führte. Auch hier konnte eine schnelle OP die Hündin wieder ganz gesunden lassen.
Fazit: Achten Sie auf Verhaltensänderungen bei Ihren Vierbeinern und gehen Sie im Zweifelsfall lieber einmal mehr zum Tierarzt.